München
Amtsgericht stellt Kinderpornografie-Verfahren ein
StA München nimmt erste Anklage zurück
Die Staatsanwaltschaft München warf dem zu diesem Zeitpunkt Angeschulidgten mit Anklageschrift vom 5. Dezember 2016 insgesamt 38 Verbreitungshandlungen kinderpornographischer Schriften vor (Ziffer 1 der Anklage) vor. Ziffer 1 b) lautete beispielsweise folgendermaßen:
„b) Der Angeschuldigte hat am 12.04.2015 um 07:34:42, um 07:37:41und um 07:42:07 Uhr UTC, unter Nutzung der IP-Adresse [XXX.XXX.XXX, eigene Schwärzung] von 80689 München aus, 3 kinderpornographische Dateien über die Website „Omegle“ in das Internet hochgeladen, um diese Dateien einer unbekannten Vielzahl von Internetnutzern zum Download bereit zu stellen.“
Unter Ziffer 2 der Anklageschrift wirft die Staatsanwaltschaft dem Angeschuldigten den Besitz von 654 kinderpornografischen Bilddateien vor:
„Bei der Auswertung der sichergestellten Gegenstände zeigte sich. dass der Angeschuldigte dort mindestens 645 kinderpornographische Bilddateien, hiervon 557 im gelöschten und 88 im unge-löschten Zustand, also Bilddateien, die sexuelle Handlungen von, an oder vor Kindern unter 14 Jahren zum Gegenstand hatten, gespeichert hatte und 31 kinderpornographische Videodateien, hiervon 27 im gelöschten Zustand und 4 im ungelöschten Zustand mit einer Gesamtspieldauer von ca. 2 Stunden.“
Untätigkeit gepaart mit Unfähigkeit des ersten Anwalts im Ermittlungsverfahren
Der zunächst von dem zu diesem Zeitpunkt noch Beschuldigten beauftragte Advokat aus München, kein Fachanwalt für Strafrecht, geschweige denn spezialisierter Verteidiger im Sexualstrafrecht, hat mit Schreiben vom 26. Oktober 2016 bei der Staatsanwaltschaft München eine „Verlängerung der Stellungnahmefrist von zwei Wochen“ beantragt, am 10. November 2016 um Verlängerung der Frist zur Stellungnahme bis „zum Ende des Monats“ gebeten und dann keine Stellungnahme abgegeben, worauf die Staatsanwaltschaft am 5. Dezember 2016 Anklage erhob. Die Anklage in der geballten Form des Vorwurfs der Verbreitung in 38 Fällen – mit einer Strafdrohung pro Fall von drei Monaten bis fünf Jahren gem. § 184b Abs. 1 StGB – hätte eine Verteidigererklärung verhindern können, wie ich im Folgenden zeige.
Antrag auf teilweise Nichteröffnung, Rücknahme der Verbreitungs-Anklage durch die StA München
Der Angeschulidgte bemerkte die Ahnungs- und Ratlosigkeit seines „Verteidigers“, dessen Vorgehensweise sich abwechselnd im Abwarten und dem misslungen Versuch, Zeit zu schinden, erschöpfte, übertrug mir das Mandat. Da bereits Anklage erhoben war, nahm ich auf der Geschäftstselle des Amtsgerichts München in der Nymphenburgerstraße 16 Einsicht in den Haupt- und Sonderband, scannte beides nach Absprache mit dem Richter mittels eines Mobilscaners ein und fertigte über den Jahreswchsel 2016/2017 einen Antrag auf teilweise Nichteröffnung. Ich trug dort nach intensiver Auseinandersetzung mit der Funktionsweise der Netzseite „Omegle“ unter vielem anderen vor, dass dort keine Down- und Uploads möglich seien, sondern lediglich sog. „One-on-One“-Chats, also Echtzeit-Unterhaltungen per geschriebenem Text und in Echtzeit übermittelten Kamerabildern mit einem einzigen, explizit ausgewählten Kommunikationspartner. So gelangte ich zum Ergebnis, dass sowohl die angeklagte Tatalternative des öffentlichen Zugänglichmachens, § 184b Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. StGB, wie auch die nicht angeklagte Tatalternative des Verbreitens, , § 184b Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. StGB, aus technischen Gründen nicht möglich sei.
Der Strafrichter am Amtsgericht München leitete meinen Antrag auf teilweise Nichteröffnung an die Staatsanwaltschaft weiter, die daraufhin diese Anklage vom 5. Dezember 2016 zurücknahm und mit einer neuen vom 28. Juni 2017 aufwartete, in dem die gesamte Ziffer 1 der „alten“ Anklage, also die 38 Tathandlungen des öffentlichen Zugänglichmachens, gestrichen waren und dem Angeschulidgten nur noch der Besitz der 654 kinderpornographischen Schriften gem. § 184b Abs. 3, Alt. 2 StGB vorgeworfen wurden.
AG München stellt zweite Anklage ein
Die Verteidigungsstrategie für die Hauptverhandlung wurde detailliert erarbeitet, insbesondere das Zusammenspiel und die Wechselwirkung sehr kritischer Fragen an den Sachverständigen mit den in den Fragen thematisierten Sachverhalt unter Beweis stellenden Anträgen zu Ablagestrukturen, Metadaten, dem Prozess der Wiederherstellung gelöschter Daten, Zeitstempeln und der rechtlichen Darlegung des fehlenden (Eventual-) Vorsatzes führten zu einer von der Staatsanwaltschaft München mitgetragenen Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 StPO mit der besonderen Kostenfolge, dass die Staatskasse nicht nur die Verfahrenskosten – und damit die horrenden Auswertkosten des externen Sachverständigen – trägt, sondern auch die „notwendigen Auslagen“ des Angeklagten, d. h. die gesetzlichen Gebühren eines Wahlverteidigers. Nun ja, ein Tropfen auf den heißen Stein, mehr symbolisch, aber immerhin!
Man sollte Anklagen, nach denen in 38 Fällen eine Mindesteinzelstrafe von jeweils (!) drei Monaten zu verhängen gewesen wäre, so dass die Bewährungsluft schon etwas dünner wird, wenn noch der Besitz mehrerer hundert kinderpornografischer Schriften dazu kommt, nur so ernst nehmen, wie unbedingt nötig. Die Staatsanwaltschaft München ist zwar besonders nah am Vatikan, deshalb aber nicht unfehlbar.