Mindeststrafen abgesenkt:

184b kein Verbrechen mehr nach Gesetzesentwurf

Fehlgeschlagener Praxistest zwingt Gesetzgeber zu Korrektur

Die Einsicht kam spät, aber sie kam: Nachdem unter Justizministerin Lambrecht sämtliche Tatbestände des § 184b StGB (Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte) von Vergehen zu Verbrechen – das sind laut § 12 StGB rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind – hochgestuft wurde, hagelte es sich von unzähligen Praktikerin Kritik [siehe dazu meinen Beitrag: Ein Jahr Freiheitsstrafe für´s Anklicken].

Die Bundesregierung hat sich dieser Kritik nun angenommen, das Bundeskabinett hat die Absenkung der Mindeststrafen in Form eines Gesetzentwurfs am Mittwoch, den 7. Februar 2024, beschlossen.

Es heißt in diesem Entwurf wörtlich:

„Die Verhältnismäßigkeit der Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe ist insbesondere dann fraglich, wenn die beschuldigte Person offensichtlich nicht aus einem eigenen sexuellen Interesse an kinderpornographischen Inhalten gehandelt hat, sondern (im Fall des § 184b Absatz 1 Satz 1 StGB) im Gegenteil, um eine andere Tat nach § 184b StGB, insbesondere eine weitere Verbreitung oder ein öffentliches Zugänglichmachen eines kinderpornographischen Inhalts, zu beenden, zu verhindern oder aufzuklären. Besonders häufig sind solche Fälle bei Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrern älterer Kinder oder Jugendlicher aufgetreten, die kinderpornographisches Material bei diesen gefunden und an andere Eltern, Lehrerinnen oder Lehrer oder die Schulleitung weitergeleitet haben, um diese über den Missstand zu informieren.

Die Einstufung als Vergehen ist außerdem dringend erforderlich, um auf den großen Anteil jugendlicher Täter und Täterinnen angemessen und mit der gebotenen Flexibilität eingehen zu können. Denn auch hier agieren die handelnden Personen in der Regel nicht, um sich durch den kinderpornographischen Inhalt sexuell zu erregen, sondern aus einem für den jugendlichen Entwicklungsstand typischen Antrieb wie Unbedarftheit, Neugier, Abenteuerlust oder Imponierstreben.“

 

Behebung eines massiven Gerechtigkeitsproblems

Die Absenkung der Mindeststrafen ist unumgänglich, wenn so etwas wie „Gerechtigkeit“ angestrebt wird: Nach der derzeitigen Rechtslage muss jemand, der ein einziges Bild einer Dreizehneinhalbjährigen, das lediglich aufgrund des Aufnahmefokus als kinderpornografisch im Sinne des § 184b Abs. 1 Nr. 1 c) StGB einzustufen und dessen Anfertigung nicht einmal von der Fotografierten bemerkt worden ist, vor dem Schöffengericht angeklagt und mit der Mindeststrafe von einem Jahr, natürlich ausgesetzt zur Bewährung, bestraft werden – darunter geht es nicht, weil die ehemalige Anwältin Lambrecht die Folgen ihres Tuns nicht bedacht hat. Als Beamter ist er damit nicht nur seinen Job, sondern auch noch seine Altersbezüge los, auch wenn er 64 ist.

Hat jemand 5.000 Bilder und einige hundert Filme, die teilweise den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen, so wird er in aller Regel und bei nicht völlig dämlicher Verteidigung als geständiger Ersttäter mit tatsächlichem oder glaubhaft vorgetäuschten Therapiewillen zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, und zwar ebenfalls auf Bewährung. Jemanden einzusperren, der als Ersttäter lediglich Fotomaterial besitzt, auf dem Straftaten abgebildet sind, ohne selbst diese Straftaten begangen zu haben, ist mit den Grundsätzen der Resozialisierung und auch der Menschenwürde nicht vereinbar.

Der Vergleich beider Fälle zeigt, dass ein Gerechtigkeitsproblem besteht: Der Ein-Bild-Besitzer wird bei weitem zu hart bestraft. Und genau das ändert der Gesetzesentwurf. Niemand plädiert für die Straffreiheit beim Umgang mit Kinderpornografie, aber die Strafen sollen schuldadäquat bemessen werden können und keinem gesetzgeberischen Populismus folgend Gerichte zwingen, das Schuldprinzip außer Acht lassen zu müssen.

Ergebnis richtig -Begründung falsch

Die Begründung des Gesetzesentwurfes zeigt, dass deren Verfasser weder Ahnung vom Strafrecht im Allgemeinen haben – es kommt bei der Besitzstrafbarkeit von Kinderpornografie nicht darauf an, ob man das Material besitzt, um sich sexuell daran zu erregen, ebenso wenig wie es beim Besitz von Drogen darauf ankommt, ob man sie selbst konsumieren, verkaufen oder nur damit prahlen will -, noch sich mit den praktischen Problemen der Justiz auseinandergesetzt haben. Diese bestehen derzeit darin, dass die oben erwähnten Ein-Bild-Besitzer ausnahmslos zum Schöffengericht angeklagt werden müssen, weil Verbrechen laut Gerichtsverfassungsgesetz nicht vor dem Strafrichter verhandelt werden dürfen. Damit können solche Verfahren nicht zügig erledigt werden, weil sie weder gegen eine Geldauflage eingestellt noch im Strafbefehlswege abgehandelt werden können.

Da alleine das innerhalb der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg, Abteilung Cybercrime, angesiedelte Zentrum zur Bekämpfung von Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch von Kindern im Internet (ZKI) im Jahr 2023 8146 Verfahren eingeleitet hat, also mehr als 30 pro Gerichtstag (Montag bis Freitag), drängt es sich auf, dass die bayerischen Schöffengerichte personell weit davon entfernt sind, diese Verfahren in der gebotenen Zeit zu terminieren, wenn nur in jedem dritten Ermittlungsverfahren angeklagt wird.

Der vom Kabinett beschlossene Gesetzesentwurf ist daher längst überfällig, da er den unter der Ministerin Lambrecht beschlossenen Murks korrigiert.