Leipzig
Strafbefehl statt Hauptverhandlung
StA Leipzig: Kinderpornografie und Verbrechensabrede
Die Staatsanwaltschaft Leipzig nahm nach einer Anzeige zweier wegen Sexualdelikten Vorbestrafter Ermittlungen auf, da diese angaben, es hätte sich ihnen eine dritte Person, die sie in einem Pädophlien-Forum kennen lernten, anvertraut, der mit einer vierten Person über ein Internetforum Texte, die sexuelle Hanldungen an und von Kindern zum Gegenstand hatten, ausgetauscht habe.
Die Staatsanwaltschaft ermittelte zunächst die Klarnamen der dritten und vierten Person, beantragte gegen diese Durchsuchungsbeschlüsse beim Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Leipzig und ließ die Polizeibehörden in Hessen und Sachsen in einer konzertierten Aktion zeitgleich Durchsuchungen durchführen.
Einsichtnahme in die Leipziger Akten
Der Beschuldigte mandatierte mich, ich beantragte gegenüber der Staatsanwaltschaft Leipzig Akteneinsicht in den Hauptband und fragte sogleich an, wo und zu welchen Zeiten der Sonderband mit dem in Arbeit befindlichen Auswertbericht einzusehen sei; man übersandte mir den Hauptband, in dem sich die Kommunikationsprotokolle fanden.
In dem gesamten, durchaus umfangreichen Chatverkehr über den Instant-Messaging-Dienst „Skype“ fand sich zwar keine einzige Bild- oder Filmdateien als Anhang zu einer Nachricht, indessen thematisierten die Nachrichten den schweren sexuellen Missbrauch einer unter Vierzehnjährigen.
Tatverdacht der Verabredung zum schweren sexuellen Missbrauch
Nach § 30 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 StGB wird nach den Vorschriften des Versuches des entsprechenden Verbrechens bestraft, wer mit einem anderen verabredet, ein solches Verbrechen zu begehen. Verbrechen in diesem Sinne sind gemäß § 12 Abs. 1 StGB rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.
Diese Voraussetzung erfüllt der Straftatbestand des schweren sexuellen Missbrauches von Kindern gemäß § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB, der die Verhängung einer Freiheitsstrafe von nicht unter zwei Jahren vorsieht. Ihn verwirklicht, wer als Person über achtzehn Jahre an einem Kind – d. h. einer Person unter vierzehn Jahren (vgl. § 176 Abs. 1 StGB) – einem Beischlaf ähnliche sexuelle Handlungen vornimmt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind.
Das Opfer des verabredeten Verbrechens muss nicht als konkrete, individualisierte Person existieren, so dass auch die Verabredung zu einem Verbrechen zu Lasten eines noch zu konkretisierenden Opfers ausreicht.
Verteidigungsschrift an die StA Leipzig
Ich habe in meiner ersten Erklärung als Strafverteidiger des Beschuldigten argumentiert, dass sich die Strafwürdigkeit der Verbrechensverabredung aus der Willensbindung der Beteiligten erklärt, durch die bereits vor Eintritt in das Versuchsstadium eine Gefahr für das durch die vorgestellte Tat bedrohte Rechtsgut entsteht. Der von einer solchen quasivertraglichen Verpflichtung ausgehende Motivationsdruck sorgt oft dafür, dass es von einer bindenden Verabredung für einen Beteiligten kaum noch ein Zurück gibt, so dass bei Angriffen auf die wertvollsten und schutzbedürftigsten Rechtsgüter schon der Abschluss der Deliktsvereinbarung durch eine Strafdrohung verhindert werden muss. Eine solche auf die Begehung des intendierten Verbrechens bezogene bindende Verabredung erfordert aber, dass jeder an ihr Beteiligte in der Lage sein muss, bei dem jeweils anderen präsumtiven Mittäter die von jenem zugesagten verbrecherischen Handlungen auch einfordern zu können. Dies kann auch zwischen Personen geschehen, die lediglich unter Verwendung eines Tarnnamens kommunizieren. In Fällen, in denen die verabredete Tat – wie vorliegend – die gleichzeitige Präsenz der Mittäter bei Tatbegehung voraussetzt, ist eine verbleibende völlige Anonymität freilich ausgeschlossen. Deren spätere Auflösung muss Teil des konkreten Tatplans sein. Diese Auflösung ist hier aber gerade nicht erfolgt und sollte auch nicht erfolgen.
Abgabe des Verfahrens, Verdachtes der Verbrechensverabredung wird nicht mehr aufrecht erhalten
Die Staatsanwaltschaft Leipzig gab das Verfahren nach dem Tatortprinzip des § 7 der Strafprozessordnung an die Staatsanwaltschaft Hanau ab, diese folgte meiner Argumentation, so dass ein hinreichender Tatverdacht wegen einer Verbrechensverabredung nicht mehr zur Diskussion stand.
Drittbesitzverschaffung kinderpornografischer Inhalte durch Übermittlung von Texten
Auch bezüglich der Drittbesitzverschaffung kinderpornografischer Schriften folgte die Staatsanwaltschaft meiner Argumentation, dass zwar ein gewisser Realitätsbezug ist auch bei Darstellungen in Worten vorstellbar sei, etwa wenn darin auf ein tatsächlich erlebtes Geschehen „Bezug genommen“ wird – die Gesetzgebungsgeschichte zeige indessen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der maßgeblichen Regelungen und der Einführung der Begriffe „tatsächlich“ und „wirklichkeitsnah“ ein anderes Vorstellungsbild hatte, das auf Darstellungen in Worten nicht zutreffen kann:
Der Straftatbestand des § 184 b Abs. 5 StGB a. F., die durch das 27. Strafrechtsänderungsgesetz vom 23. Juli 1993 [BGBl. I, S. 1346] eingeführte Vorgängernorm der §§ 184b Abs. 1 Nr. 2 und 184c Abs. 1 Nr. 2 StGB, stellte die Besitzverschaffung im Zweipersonenverhältnis nur für solche Schriften unter Strafe, die ein „tatsächliches“ Geschehen wiedergeben.
In der Begründung des Gesetzentwurfs [Bundestagdrucksache 12/3001, S. 4 ff.] wurde namentlich auf die Verbreitung kinderpornographischen Bild- und Videomaterials [dort S. 4] und – konkret – auf
„kinderpornographische Filme, Videofilme, Photographien oder authentische Tonaufnahmen“ [dort S. 5]
Herstellen kinderpornografischer Inhalte durch Entwurf von Texten
Der Straftatbestand des Herstellens gem. § 184 b Abs. 1 Nr. 3 StGB ist noch enger gefasst als der des § 184 b Abs. 1 Nr. 2 StGB, da er lediglich das Herstellen von kinderpornografischen Schriften, die ein „tatsächliches“ Geschehen wiedergeben, umfasst.
Damit war auch das – seinerzeit (seit dem 1. Juli 2021 ist auch dies Verbrechenstatbestand – mit drei Monaten bis zu fünf Jahren pro Einzelfall sanktionierte Herstellen einer kinderpornographischen Schrift vom Tisch.
Dass die Drittbesitzverschaffung solcher Schriften nicht strafbar ist, ist nachvollziehbar: Stellen Sie sich vor, der A schreibt dem B die fiktive Geschichte, wie er jemanden umbringt. Wäre das strafbar, müsste das Veröffentlichen eines Krminalromans, in dem jemand zu Tode kommt und dieses Zu-Tode-Kommen beschrieben wird, ebenfalls unter Strafe stehen. Wenn sich zwei Leute ihre Phantasien – so krude und krank sie auch sein mögen – mitteilen, ohne dass eine konkrete Person betroffen ist und es je wird, geht das erstens den Staat nichts an und ist zweitens erst recht nicht strafbar – außer vermutlich in Nordkorea.