Limburg
§ 184b StGB: StA klagt Verbreiten an, AG verurteilt nur Besitz
Mangels Vorsatz weder Verbreiten noch öffentliches Zugänglichmachen
Staatsanwaltschaft Limburg beurteilt den Ausgangssachverhalt der eigenen Anklageschrift falsch
Der Angeschuldigte hoffte nach der Durchsuchung seiner Wohnung und während des gesamten staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens, dass sich die Sache auf eine mehr oder weniger zauberhafte Weise von selbst regeln würde, was aber – wie in den allermeisten Fällen von Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes der Verbreitung, des Erwerbs und des Besitzes kinderpornographischer Inhalte – nicht der Fall war, im Gegenteil: Es wurden ganz wesentliche Verteidigungsmöglichkeiten im Stadium des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Limburg verpasst.
Der durch die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft vom Status des Beschuldigten in den Status des Angeschuldigten „erhobene“ Verdächtigte war von der Anklageerhebung derart paralysiert, dass er auch noch das sogenannte Zwischenverfahren, also die Zeitspanne zwischen Eingang der staatsanwaltlichen Anklageschrift bei Gericht und der Zulassung dieser Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Gericht nichts unternahmen, und damit auch die hier noch mögliche Verteidigung zu seinen eigenen Lasten vereitelte.
Eröffnungsbeschluss geht ebenfalls vom Verbreiten in Form des öffentlichen Zugänglichmachens aus
Erst der ihm zugegangene Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Dillenburg mitsamt der Ladung zum Hauptverhandlungstermin rüttelte ihn offenbar wach und er entschloss sich, einen Strafverteidiger, der auf Verteidigungen im Sexualstrafrecht spezialisiert ist, mit seinem Mandat zu betrauen. Er wandte sich an mich, ich nahm das Mandat an.
Bei der Lektüre der Verfahrensakten, in denen sich selbstredend auch die Anklageschrift befand, stellte ich fest, dass die Staatsanwaltschaft Limburg den Sachverhalt, den sie selbst angeklagt hatte, rechtlich falsch eingeordnet hatte. In der Anklageschrift wird unter den Ziffern 1 bis 6 folgendes ausgeführt:
„Zu 1.:
Am 10.04.2013 stellte der Angeschuldigte über das Netzwerk „eDonkey2000“ eine kinderpornographische Datei zum Download für jeden Teilnehmer des Netzwerks zur Verfügung. Diese Datei zeigt in drastischer Art und Weise den sexuellen Missbrauch eines Kindes, weiblichen Geschlechts, das den vaginalen bzw. analen Geschlechtsverkehr erdulden muss. Dabei handelt es sich um ein Kind im Kleinkindalter.
Zu 2. – 5.:
In der Zeit vom 09.04.2013 bis zum 04.08.2013 gab der Angeschuldigte in mindestens 4 Fällen über die Software „emule“ kinder- und jugendpornographische Videodateien zum Download für anderer Nutzer des Netzwerkes frei.
Im einzelnen handelte es sich um folgende Dateien:
2.: Am 09.04.2013 gab er zwei Videodateien mit einer Gesamtlaufzeit von 63 Minuten frei, auf denen Kinder, weiblichen Geschlechts manuelle und orale Manipulationen an Penis und Vagina ausführen bzw. erdulden mussten.
3.: Am 04.08.2013 gab er 12 kinderpornographische und 8 jugendpornographische Dateien zum Download frei, auf denen Kinder und Jugendliche überwiegend weiblichen Geschlechts das manuelle oder orale Manipulieren an Penis, Anus und Vagina sowie den analen und vaginalen Geschlechtsverkehr ausführen bzw. erdulden mussten. Teilweise handelte es sich bei den Kindern um Kleinkinder. Die kinderpornographischen Dateien hatten eine Gesamtlaufzeit von deutlich über 3 Stunden, die jugendpornographischen Dateien von über 2 Stunden.
4.: Am 26.07.2013 gab er eine kinderpornographische Dateien mit einer Gesamtlaufzeit von 20:56 Minuten frei, auf der ein Mädchen dazu angeleitet worden war, obszöne Stellungen einzunehmen, bei denen ihre primären Geschlechtsmerkmale in pornographischer Weise in den Vordergrund gestellt werden. Zudem gab er 2 jugendpornographische Dateien mit einer Gesamtlaufzeit von 56: 44 Minuten frei, auf denen Jugendliche weiblichen Geschlechts manuelle Manipulationen an Vagina und Anus ausführen bzw. erdulden müssen.
5.: Am 03.08.13 gab der Angeschuldigte 2 kinderpornographische Dateien mit einer Gesamtlaufzeit von 36 Minuten zum download frei, auf denen ein Kind weiblichen Geschlechts dazu angeleitet worden war, obszöne Stellungen einzunehmen, bei denen ihre primären Geschlechtsmerkmale in pornographischer Weise in den Vordergrund gestellt werden.
Zu 6
Am 01.11.2013 lud sich der Angeschuldigte über die Software „emule“ 7 kinderpornographische (Gesamtlaufzeit von mehr als 2,5 Stunden) und 9 jugendpornographische Videodateien (Gesamtlaufzeit von mehr als 1,5 Stunden) herunter, die sodann aufgrund der Filesharingeinstellung der Software unmittelbar zum Herunterladen durch die übrigen Teilnehmer des Filesharingprogramms freigegeben waren. Diese Filme zeigen Kinder und Jugendliche weiblichen Geschlechts, die das manuelle und orale Manipulieren an Penis, Anus und Vagina sowie den analen und vaginalen Geschlechtsverkehr ausführen bzw. erdulden müssen. Zudem handelte es sich um Videodateien, bei denen Kinder und Jugendliche weiblichen Geschlechts dazu angeleitet worden waren, obszöne Stellungen einzunehmen, bei denen ihre primären Geschlechtsmerkmale in pornographischer Weise in den Vordergrund gestellt werden.“
Die Staatsanwaltschaft Limburg warf den Angeklagten vor, die genannten Dateien „verbreitet zu haben“ im Sinne des § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB.
Vortrag der Verteidigung in der Hauptverhandlung zum Vorwurf des Verbreitens
Ich führte in der Hauptverhandlung detailliert unter Angabe vieler Fundstellen, darunter auch BGHSt 47, 55, aus, dass diese Wertung nicht zutreffend ist, da es sich – selbst wenn man den Angeklagten Sachverhalt arbeitshypothetisch als wahr unterstellte – nicht um ein Verbreiten, sondern um ein öffentliches Zugänglichmachen handelt.
Vortrag der Verteidigung in der Hauptverhandlung zum Vorwurf des öffentlichen Zugänglichmachens
Zu diesem Vorwurf trug ich vor, dass „emule“ als freier Filesharing-Client für das eDonkey2000- und das Kad-Netzwerk so funktioniert, dass für den Fall, dass ein Client eine Anfrage hinsichtlich einer bestimmten Datei stellt, der Server ihm bekannte und verbundene Clients „liefert“, die die angefragte Datei anbieten. Die Kontaktaufnahme und vor allem der Download erfolgen dann direkt von Client zu Client ohne Zwischenschaltung des Servers, es sei denn, es handelt sich um einen Fall sog. LowID. Das heißt, dass die Software so programmiert ist, dass jeder Client, der etwas herunterlädt, anderen gleichzeitig das bereits Heruntergeladene zum ihrerseitigen Herunterladen zur Verfügung stellt.
Diese Funktionsweise sei dem Angeklagten, ein Laie im Hinblick auf IT-Angelegenheiten, nicht bewusst gewesen.
Wer nun den Angeklagten wegen eines öffentlichen Zugänglichmachens von Dateien – das immerhin mit einer Mindeststrafe von drei Monaten Freiheitsstrafe, pro Fall versteht sich – schuldig sprechen wolle, der dürfe nicht nur das Äußere, also den objektiven Tatbestand betrachten, sondern müsse auch das Innere, also das Subjekt, von dem dieser Tatbestand äußerlich verwirklicht worden ist, betrachten. Aus Sicht des Strafrechts ist dieses Subjekt nichts anderes als das Bewusstsein einer Person, also ihr Denken, ihr Wollen. Wollen – so führte ich aus – könne man aber nur das, was man auch wisse. Wer nichts Konkretes weiß, der kann auch nichts Konkretes wollen. Wiederum übersetzt in die strafrechtliche Terminologie sei das nichts anderes als der Vorsatz.
Ausschließlich vorsätzliches Handeln ist strafbar, es sei denn, das Gesetz bedroht fahrlässiges Handeln ausdrücklich mit Strafe, so steht es nahezu wörtlich seit mehr als 120 Jahren in § 15 StGB.
Der Angeklagte könne allerdings nicht vorsätzlich in Form einer der drei Vorsatzarten hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals des öffentlichen Zugänglichmachens gehandelt haben, da er überhaupt nicht wusste, dass er anderen „Clients“ das von ihm selbst Heruntergeladene während seines eigenen noch andauernden Herunterladens zu deren Herunterladen freigebe .
Amtsgericht Dillenburg folgt dem Verteidigervortrag in beiden Punkten
Das Amtsgericht Dillenburg übernahm meine rechtliche Einordnung zum Tatvorwurf des Verbreitens kinderpornografischer Inhalte und verwarf diejenige der Staatsanwaltschaft Limburg.
Im rechtskräftigen amtsgerichtlichen Urteil heißt es dazu:
„Soweit die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten in den Fällen 1 bis 6 und in den tateinheitlich begangenen Fällen 3, 4 und 6 das Verbreiten kinderpornographischer, bzw. jugendpornographischer Schriften zur Last gelegt hat, vermochte sich das Gericht letztendlich nicht davon zu überzeugen, dass der Angeklagte sich entsprechend strafbar gemacht hat. Ein vollendetes Verbreiten im Sinne des § 184b Abs. 1 Nr. 1 StGB ist nämlich erst gegeben, wenn eine übertragene Datei auf einem permanenten Video gespeichert oder im Arbeitsspeicher des Rechners angekommen ist (vgl. BHGSt 47, Seite 55ff., 59), wobei jedoch tatsächlich ein Lesezugriff des Adressaten vorausgesetzt wird. Feststellungen hierzu sind nicht zu treffen, da sich die Ermittlungen dazu nicht äußern. Vielmehr ist nur erkennbar, dass der Angeklagte zum Download das auf dem PC installierte Tauschbörsenprogramm „emule“ benutzte und dadurch beim Download der Dateien die heruntergeladenen Dateien auch einer unbestimmten Anzahl weiterer „emule“ Benutzer zur Verfügung stellte (vgl. BGH StR 322/13). Dazu, dass es tatsächlich zu einer Nutzung der übrigen „emule“ Benutzer gekommen ist, konnten Feststellungen nicht getroffen werden.“
Für die Verteidigung von wesentlich größerer Bedeutung war allerdings der Umstand, dass das Amtsgericht Dillenburg folgte genau auch meiner Argumentation zum Tatvorwurf des öffentlichen Zugänglichmachens folgte und den Angeklagten wegen der unter den Ziffern 1 bis 6 der Anklageschrift geschilderten Sachverhalten lediglich wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften verurteilte.
Der Besitztatbestand war zum Zeitpunkt der Tat im Mindestmaß lediglich mit Geldstrafe und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht, während das öffentliche Zugänglichmachen seinerzeit bereits mit einer Mindestfreiheitsstrafe von drei Monaten und einer Höchststrafe von fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist.
Auch im Hinblick auf die Strafzumessung folgte das Gericht meinen Ausführungen und verurteilte den Angeklagten lediglich zu einer dreimonatigen Freiheitsstrafe, die – falls kein weiterer Eintrag im Bundeszentralregister vorzufinden ist – nicht in das polizeiliche Führungszeugnis aufgenommen wird, ebenso, wie es sich bei der bekannten Grenze von 90 Tagessätzen bei der Geldstrafe verhält.
Drei Monate Freiheitsstrafe: Kein Eintrag in das polizeiliche Führungszeugnis!
Auch im Hinblick auf die Strafzumessung folgte das Gericht meinen Ausführungen und verurteilte den Angeklagten lediglich zu einer dreimonatigen, zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe, die – falls kein weiterer Eintrag im Bundeszentralregister vorzufinden ist – nicht in das polizeiliche Führungszeugnis aufgenommen wird, ebenso, wie es sich bei der bekannten Grenze von 90 Tagessätzen bei der Geldstrafe verhält.
Seit der am 1. Juli 2021 in Kraft getretenen irrwitzigen und populistisch motivierten Strafverschärfung beträgt die Mindeststrafe selbst beim bloßen Abruf – noch weniger als der Besitz! – kinderpornografischer Inhalte ein Jahr Freiheitsstrafe.
Urteilsgründe zur Ablehnung des öffentlichen Zugänglichmachens
„Die hier zu treffenden Feststellungen tragen auch eine Verurteilung wegen öffentlichen Zugänglichmachens von kinderpornographischen Schriften nach § 184b Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht. Ein öffentliches Zugänglichmachen liegt zwar dann vor, wenn dem Adressaten die Möglichkeit des Zugriffs ermöglicht wird, was vorliegend durch die zur Verfügungstellung der Dateien gegeben ist. Dass tatsächlich ein Lesezugriff des Adressaten erfolgt ist, erfordert die Erfüllung des Tatbestandes nicht. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Angeklagte angegeben hat, über die Wirkungen dieser Filesharingprogramme nicht informiert gewesen zu sein. Da die „emule“ Software nicht allein zum Nutzen kinderpornographischer Schriften, sondern auch im Bereich des Musikdownloads verwendet wird, ist dies nicht zwangsläufig jedem geläufig. Schlicht und ergreifend wusste auch das Gericht nicht, dass diese Programme diese Möglichkeiten bieten. Wenn der Angeklagte sich hier dazu eingelassen hat, dass ihm dies unbekannt gewesen sei, vermag das Gericht dies zumindest zu seinen Gunsten nicht auszuschließen.
Bei der Strafzumessung war zugunsten des Angeklagten sein Geständnis ebenso zu berücksichtigen wie die Tatsache, dass er bisher strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist. Aufgrund dessen hielt das Gericht die Verhängung von Einsatzstrafen von jeweils einem Monat für die Fälle 1 bis 7 für tat- und schuldangemessen. Unter Erhöhung der höchsten Einsatzstrafe und unter nochmaliger Berücksichtigung der bereits erwähnten Strafzumessungserwägungen hat das Gericht hieraus auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Monaten erkannt.“