Ein Jahr für´s Anklicken
Gesetzgeberischer Populismus in Reinform zum Schaden aller
1. Die Kriminologie - das unbekannte oder schlicht hinderliche Wesen?
Die Kriminologie wird gemeinhin als „Lehre vom Verbrechen“ verstanden, umfasst daher auch die Kriminalitätstheorien, die der Frage nachgehen, warum sich Bürger rechtskonform oder eben nicht rechtskonform verhalten – mit anderen Worten, warum der eine tut, was ihm verboten worden ist, und der der andere nicht.
Wirkung von Straferhöhungen: Gar keine!
Gegenstand nationaler und internationaler Forschungen war und ist der Zusammenhang zwischen Strafschärfungen und der Straffälligkeit.
Das Ergebnis all dieser Studien ist so banal wie ernüchternd: Die Einführung noch höherer Strafen für eine ohnehin bereits strafbewehrte Verhaltensweise bewirkt genau gar nichts!
Diese „Austauschbarkeit der Sanktionen“ widerlegt die von populistischen Politikern wie der Justizministerin Lambrecht besonders in Zeiten nahender (Bundes-) Wahlkämpfe propagierte These „viel hilft viel“, sondern konstatiert, dass viel eben nicht viel hilft und auch die Rückfallquote nicht verändert. Eine Legalbewährung wird nicht durch die Höhe der Sanktionen, sondern durch andere Faktoren bestimmt.
Populismus und Wahlkampf
Wer also glaubt, man könne beispielsweise Straftaten wie den Abruf oder den Besitz kinderpornografischer Inhalte „ausmerzen“, indem man die zu verhängende Mindeststrafe von einer Geldstrafe herauf setzt auf eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe und den Straftatbestand so zum Verbrechen erhebt, statt ihn wie in den letzten 27 Jahren als Vergehen bestehen lässt, hat keine Ahnung von den Grundzügen der Kriminologie.
Wer von Fachleuten beraten wird und solches dann wider besseres Wissen behauptet und auch noch in Gesetzesform gießt, kann nur Politiker auf Stimmenfang sein.
2. Was ist inzwischen alles "kinderpornographischer Inhalt"?
Nur ahnen all diejenigen, die solchen brachialen Straferhöhungen tüchtig Beifall klatschen, nicht, welche Folgen eine solche, dem puren Populismus geschuldete Fehlentwicklung haben wird.
Diejenigen, die am lautesten für Straferhöhungen im Bereich der Sexualdelikte plädieren, werden es nicht für möglich halten, dass in ihrem privaten Familienalbum respektive in ihren Urlaubsbilddateien unter Umständen kinderpornografische Inhalte schlummern: Kinderpornografisch ist ein Bild schon dann, wenn es „die unbekleideten Genitalien oder das unbekleidete Gesäß eines Kindes sexuell aufreizend wiedergibt“. Kurzum: Das Bild eines nackten Kindes – Person unter 14 Jahren – am Strand ist dann Kinderpornografie im Sinne des § 184b StGB, wenn es diese Nacktheit „aufreizend sexuell wiedergibt“.
Unbestimmte Tatbestandsmerkmalen bergen die Gefahr willkürlicher Entscheidungen
Dann wollen wir mal hoffen, dass die Staatsanwältin oder der Staatsanwalt das gummiartige Tatbestandsmerkmal der „aufreizend sexuellen Wiedergabe“ bei den Familienbildern der Fürsprecher solcher irrationalen Straferhöhungen nicht annimmt. Dieser Straftatbestand ist etwa so bestimmt wie ein solcher, der „Tätigkeiten im Freien bei für die Jahreszeit schlechtem Wetter“ verbietet.
Wenn ich Ihnen nun noch mitteile, dass ein gewisser Oberstaatsanwalt namens Franosch, vom Steuerzahler beschäftigt bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt, die Auffassung vertritt, was „sexuell aufreizend“ sei, müsse aus der Sicht eines entsprechend veranlagten Beschuldigten bestimmt werden, dann wissen Sie, dass der Willkür Tür und Tor offen stehen.
3. Die Folgen der irrationalen Strafrahmenerhöhung: Verlierer auf allen Seiten
Findet man nun ein einziges solches Bild, ist durch die völlig irrationale Strafrahmenerhöhung zwingend zum Schöffengericht anzuklagen, da der Besitz eines einzigen Bildes ja den Verbrechenstatbestand des § 184b Abs. 3, Alternative 3 StGB erfüllt.
Keine Einstellung gegen Auflage, kein Strafbefehlsverfahren, Beiordnung eines Zwangsverteidigers
Ein solches Verfahren kann nun nicht mehr gegen eine Geldauflage eingestellt werden, da das nach § 153a der Strafprozessordnung (StPO) nur bei Vergehen, nicht aber bei Verbrechen möglich ist.
Das Verfahren wegen eines einzigen solchen Strandbildes kann nicht einmal im Strafbefehlsverfahren abgeurteilt werden, weil auch dieser Weg nur bei Vergehen, nicht aber bei Verbrechen offen steht.
Dem Angeklagten ist, wenn er keinen (Wahl-) Verteidiger hat, zwingend ein (Pflicht-) Verteidiger vom Gericht zu bestellen, weil die Strafprozessordnung das so vorsieht in § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO. Der Steuerzahler wird sich freuen, denn er bezahlt den Verteidiger und bleibt auf den Kosten sitzen, wenn beim Verurteilten nichts zu holen ist.
Jeder Angeklagte wird sich gegen einen solchen Vorwurf, sein Familienalbum, seine gespeicherten Familienbilder oder sonstige von ihm besessenen Bilder seien Kinderpornografie aufs Äußerste mit Hilfe eines spezialisierten Verteidigers wehren, wenn ihm nichts weiter mit Substanz vorgeworfen wird – verständlicherweise.
Abschaffung funktionierender Prozessabläufe, Überlastung des Systems durch Einführung neuer
Die Gerichte, die nun all diese Verfahren, die zuvor zu tausenden durch Einstellungen bei zweifelhaften Fällen gegen Geldauflage oder aber im Strafbefehlswege – auch zur Zufriedenheit der Staatsanwaltschaften! – erledigt worden sind, werden alle Kinderpornografieverfahren als Schöffengericht, bestehend aus einem Richter und zwei Schöffen, verhandeln müssen. Die Justiz hat dafür nicht ansatzweise die personellen Voraussetzungen.
Auf all das wurde das Justizministerium hingewiesen, der plumpe Populismus hat all diese rationalen Erwägungen hinweggewischt, heraus kam der folgende, ab 1. Juli 2021, 0.00 Uhr geltende Verbrechenstatbestand:
4. Der neue Verbrechenstatbestand: Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte, § 184b StGB
(1) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer
1. einen kinderpornographischen Inhalt verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht; kinderpornographisch ist ein pornographischer Inhalt (§ 11 Absatz 3), wenn er zum Gegenstand hat:
a) sexuelle Handlungen von, an oder vor einer Person unter vierzehn Jahren (Kind),
b) die Wiedergabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung oder
c) die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes eines Kindes,
2. es unternimmt, einer anderen Person einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, zugänglich zu machen oder den Besitz daran zu verschaffen,
3.einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tat-sächliches Geschehen wiedergibt, herstellt oder 4. einen kinderpornographischen Inhalt herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, bewirbt oder es unternimmt, diesen ein- oder auszuführen, um ihn im Sinne der Nummer 1 oder der Nummer 2 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen, soweit die Tat nicht nach Nummer 3 mit Strafe bedroht ist. Gibt der kinderpornographische Inhalt in den Fällen von Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 und 4 kein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wieder, so ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
(2) Handelt der Täter in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, und gibt der Inhalt in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1, 2 und 4 ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wieder, so ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen.
(3) Wer es unternimmt, einen kinderpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches oder wirklichkeitsnahes Geschehen wiedergibt, abzurufen oder sich den Besitz an einem solchen Inhalt zu verschaffen oder wer einen solchen Inhalt besitzt, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.
(4) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 in Verbindung mit Satz 1 Nummer 1 strafbar.
(5) Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und Absatz 3 gelten nicht für Handlungen, die ausschließlich der rechtmäßigen Erfüllung von Folgendem dienen: 1. staatlichen Aufgaben, 2. Aufgaben, die sich aus Vereinbarungen mit einer zuständigen staatlichen Stelle ergeben, oder 3. dienstlichen oder beruflichen Pflichten.
(6) Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 und 4 und Satz 2 gilt nicht für dienstliche Handlungen im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, wenn 1. die Handlung sich auf einen kinderpornographischen Inhalt bezieht, der kein tatsächliches Geschehen wiedergibt und auch nicht unter Verwendung einer Bildaufnahme eines Kindes oder Jugendlichen hergestellt worden ist, und 2. die Aufklärung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.
(7) Gegenstände, auf die sich eine Straftat nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 oder 3 oder Absatz 3 bezieht, werden eingezogen. § 74a ist anzuwenden.