Der Kick per Click

Wenn Pornografie die Gedanken beherrscht

Pornografie im Internet - schaut doch fast jeder, oder?

Tatsächlich über alle Altersgruppen der 18- bis 60- jährigen Männer hinweg gaben 85 bis 90% der Befragten an, Pornografie zu konsumieren. Bei Frauen ist das Konsumverhalten stärker altersabhängig. Konsumieren 58% der jungen Frauen bis zu einem Alter von 30 Jahren Pornos, so sind es bei 46- bis 60jährigen mit nur mehr 29% etwa die Hälfe [MATTHIESEN, S., DEKKER, A., von RUEDEN, U. et al. Sexsurveyforschung in Deutschland und Europa. Bundesgesundheitsbl 60, 971–978 (2017). https://doi.org/10.1007/s00103-017-2598-6].
Der freie, anonyme und zumeist kostenfreie Zugang zu pornografischen Inhalten im Internet veränderte die sexuelle Lebenswelt in der Gesellschaft.

Die Betrachtung pornographischer Inhalte im Internet ist einerseits wegen ihrer Verbreitung als Massenphänomen nahezu gesellschaftsfähig geworden, anderseits hat ein Teil der Nutzer von Internetpornografie das Gefühl, die Kontrolle über das eigene Verhalten verloren zu haben.

Kontrollverlust

Laut einer großen australischen Studie mit über 20.000 Teilnehmern fühlen sich 4,4% der Männer und 1,2% der Frauen pornosüchtig [RISSEL, C., et al. A profile of pornography users in Australia: Findings from the second Australian study of health and relationships. The Journal of Sex Research, 2017, 54. Jg., Nr. 2, S. 227-240].
Die Betroffenen gaben an, den massenweisen Konsum von Pornografie trotz gravierender persönlicher wie sozialer Folgen nicht beenden zu können.
Die Suche nach neuem pornografischem Material bestimmt die Gedankenwelt, andere Lebensbereiche treten in den Hintergrund und verlieren subjektiv an Bedeutung. Gesundheitliche Folgen wie erektile Dysfunktionen, die Belastung von Partnerschaften und auch das Risiko, am Arbeitsplatz ertappt zu werden, können nicht die Abkehr vom mehr und mehr verselbstständigten Verhalten einleiten.
Letztlich treten oft Scham- und Schuldgefühle, seine Sexualität exzessiv ausschließlich mittels der unerschöpflichen Palette der online zur Schau gestellten Fantasien und Szenen auszuleben, während partnerschaftliche Sexualität auf der Strecke bleibt, hinzu.

Wie entsteht die Sucht nach Cybersex?

Die grundsätzlichen Mechanismen der Porno- oder Cybersexsucht entsprechen jenen anderer verhaltens- und substanzgebundener Süchte:

Ausgehend von einem inneren Defizit wie Einsamkeit, Langeweile, dem Gefühl innerer Leere, Rastlosigkeit, Stress und negativem Selbstwertgefühl wird die Suche im Internet das Mittel der Wahl, Linderung und Befriedigung zu erfahren.
Der Konsum von Pornografie aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn, der Botenstoff Dopamin wird ausgeschüttet. Das Gehirn erkennt die biologisch wichtige Möglichkeit der Fortpflanzung und belohnt diese. Sieht jedoch der Konsument denselben Clip, dasselbe Bild ein zweites Mal, sinkt die Dopaminmenge. Daher ist die Suche immer neuer Stimuli unerlässlich, wenn der Konsument weiter auf der Dopaminwelle reiten will.
Schließlich reichen „gewöhnliche“ Darstellungen nicht mehr aus, immer härte Szenen werden gesucht, die sexuellen Fantasien driften immer weiter in die Randbereiche sexueller Praktiken ab. Nicht selten gerät der eine oder andere mit der Zeit dabei an und wegen der fehlenden Offline-Komponente auch über die Grenze des Legalen.
Das von Nobelpreisträger TINBERGEN entwickelte Konzept des supranormalen Stimulus wird zur Erklärung des zugrundeliegenden Mechanismus herangezogen. Ein künstlicher Reiz – hier die Internetpornografie – überschreibt die evolutionär entwickelte genetische Antwort. Es kommt zu einer Überreizung des natürlichen Belohnungssystems.

Die unmittelbaren Folgen des Konsums von Cybersex

Bildgebende Verfahren zeigten eine Veränderung der Hirnstruktur und Aktivität bei Probanden mit Hypersexualität und problematic use of online pornography (POPU) im Bereich des präfrontalen Cortex und der Amygdala. Da der Schlüsselreiz Pornografie mit dem Belohnungssystem verknüpft wurde, sank das Sexualverlangen nach partnerschaftlichem Sex [DE ALARCÓN, R., et al. Online porn addiction: What we know and what we don’t – A systematic review. Journal of clinical medicine, 2019, 8. Jg., Nr. 1, S. 91.].

Das Bedürfnis nach menschlicher Zweisamkeit, das die Bemühung um den Partner, ein Aufeinanderzugehen und Aufeinandereingehen voraussetzt, kann Pornografie nicht stillen.
Sie bleibt eine Illusion, die dieses Bedürfnis des Konsumenten nicht sättigen kann, jedoch per Click stets verfügbar über einen kurzen Dopamintrip Ablenkung schafft.

Pädophil oder sexsüchtig?

Geriet der Pornografiekonsument ins Fadenkreuz polizeilicher Ermittlungen wegen des Abrufens, des Besitzes oder gar des Verbreitens kinderpornografischer Inhalte, sieht er sich oft mit der das Selbstbild erschütternden Frage konfrontiert:

Bin ich pädophil? Bin ich pornosüchtig? Oder beides?

Allein vom Unstand des Besitzes von Kinder- oder Jugendpornografie auf eine sexuelle Präferenzstörung zu schließen, greift zu kurz.

Für Menschen mit paraphiler und insbesondere pädophiler Sexualpräferenz verbietet sich ein Ausleben ihrer Sexualität in der Wirklichkeit, sie suchen deshalb oft in der Welt des Internets eine Möglichkeit, ihrer Bedürfnisse zu kanalisieren.

Paraphilie ist nur einer von vielen Risikofaktoren – wie auch etwa ein niedriges Einstiegsalter in den Pornografiekonsum, strenge religiöse Überzeugungen, negative Stimmungslagen und das Verharren in einer sexuell unbefriedigenden Beziehung – der Pornosucht zu verfallen.
Pädophilie und Cybersexsucht können, müssen aber nicht kumulativ auftreten.

Anderseits kann auch eine Verhaltenssucht oder eine Impulskontrollstörung – das ist in der Fachliteratur umstritten – zum Konsum illegaler Pornografie geführt haben [FRANKE, I.; GRAF, M. Kinderpornografie. Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, 2016, 10. Jg., Nr. 2, S. 87-97.].
In diesem Fall entwickelte sich das problematische Verhalten aus einer persönlichen Defizitsituation heraus.

Nicht selten berichten mir Mandanten vom Tod naher Angehöriger, von schweren körperlichen und seelischen Erkrankungen, sogar von schweren Unfällen, die den Konsum von kinder- oder Jugendpornografie nach ihrer eigenen Einschätzung auslösten.
Die Betroffenen beschreiben einen Kontrollverlust, einer obsessiven Sammel- und Suchleidenschaft, die verschiedene pornografische Genres umfasst. Es wird also keineswegs nur nach kinder- oder jugendpornografischen Reizen gesucht.

Letztendlich beeinträchtigt die Cybersexsucht die soziale Funktionsfähigkeit der Betroffen und erzeugt so erhebliche Belastungen für sie selbst und für ihr Umfeld.

Diese Seite suchen die meisten Leute deshalb auf, weil ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren gegen sie anhängig ist, das in der Regel mit einer Wohnungsdurchsuchung beginnt.
Meines Amtes ist es nun, dieses Strafverfahren bestmöglich, d. h. unter den geringstmöglichen sozialen, finanziellen, beruflichen und psychischen Einbußen abzuwickeln.
Von großem Vorteil für die Strafverteidigung im Sinne einer Strafzumessung und für den Verteidigten selbst ist der Umstand, dass ein Aufarbeiten der Sucht im Rahmen einer Gesprächstherapie nicht nur von der Rechtsprechung, sondern auch von den Verfolgern, also der Staatsanwaltschaft, als positiver Strafzumessungsfaktor bewertet wird.

Positive Behandlungsprognose

Die Behandlungsprognose bei einer Pornografiesucht ist positiv! Sämtliche Veränderungen im Gehirn sind reversibel, es lassen sich zudem Verhaltensweisen erlernen, die eigenen Risikofaktoren zu erkennen und zu kontrollieren.

Nicht wenige Mandanten berichten mir, dass sie die polizeiliche Durchsuchung nach dem ersten Schrecken geradewegs als Erlösung empfunden haben, weil ihnen noch während der Durchsuchung oder aber unmittelbar danach klar wurde, nun selbst gegensteuern zu müssen.

Dieser Impuls bedeutete dann den Beginn eines neuen Lebensalters, das sie qualitativ hochwertiger einschätzen als dasjenige, das sie während der ausgelebten Pornografiesucht fristeten.