Welche Strafen

drohen bei Verurteilung wegen

Kinderpornografie

Ab 1. Juli 2021: Mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe

Seit dem 1. Juli 2021, 0 Uhr, hat sich die Welt geändert im strafrechtlichen Umgang mit tatsächlicher Kinderpornografie und allem, was von 28-jährigen Staatsanwältinnen dafür gehalten wird:

Sämtliche Handlungen, die einen Bezug zu Kinderpornografie haben, werden an Juli mit einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr geahndet – egal ob es die Herstellung eines kinderpornografischen Videos, das die Vergewaltigung einer Siebenjährigen zum Gegenstand hat, oder den Versuch (!) des Abrufs (!) eines Bildes einer nackten 13-Jährigen, die bäuchlings am FKK-Strand liegt und deren rechte Gesäßhälfte in den Bildmittelpunkt gerückt ist, handelt.

Mit dieser Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe sind sämtliche Tathandlungen des § 184b StGB – sei es nun der versuchte Abruf, der Besitz, das Verbreiten oder das Herstellen – zum Verbrechen heraufgestuft worden.

Das hat für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft einen hinreichenden Tatverdacht zu erkennen glaubt, im Unterschied zu der unten behandelten alten Rechtslage für Fälle vor dem 1. Juli 2021 zwei gravierende Konsequenzen:

a. Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO nicht mehr möglich

Das Verfahren gegen Sebastian Edathy wurde in der Hauptverhandlung gegen eine Geldauflage nach § 153a StPO eingestellt, er gilt damit als nicht vorbestraft.

Nach § 153a StPO können – entweder bereits im Ermittlungsverfahren, im Zwischenverfahren oder aber auch erst in der Hauptverhandlung – nur Vergehen gegen Auflagen – in den  allermeisten Fällen Geldauflagen – eingestellt werden.
Verbrechen, also Taten, die im Mindestmaß mit einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind, können nicht auf diese Weise eingestellt werden. Seit dem 1. Juli 2021 sind alle in § 184b StGB aufgezählten Tathandlungen Verbrechen.

Bejaht die Staatsanwaltschaft also einen hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich einer Tathandlung nach § 184b StGB, bleibt ihr nichts anderes übrig, als Anklage vor dem Schöffengericht zu erheben.

b. Erlass von Strafbefehlen nicht mehr möglich

Das Strafbefehlsverfahren, also ein schriftliches Urteilsverfahren ohne öffentliche Hauptverhandlung, ist bei ab dem 1. Juli 2021 begangenen Taten auch dann nicht mehr möglich, wenn sich Verteidigung und Staatsanwaltschaft inhaltlich („was wird bestraft“) und hinsichtlich der Rechtsfolgen („welche Strafe wird verhängt“) völlig einig sind:

Das Strafbefehlsverfahren ist nur bei Vergehen zulässig, Verbrechen müssen stets in öffentlicher Verhandlung abgeurteilt werden.

c. Verhandlung vor dem Strafrichter nicht mehr möglich

Neun von zehn Anklagen wegen strafbaren Handlungen im Zusammenhang mit Kinderpornografie wurden bislang zum Strafrichter (als Einzelrichter) angeklagt – viele davon konnten bei vernünftigem Verteidigervorbringen und einigermaßen vernünftigen Staatsanwälten – manchmal mit Schützenhilfe vom Strafrichter – in einem zeitlich überschaubaren Rahmen ohne größeres Aufheben erledigt werden.

Für alle nach dem 30. Juni 2021 begangenen Taten ist auch das nicht mehr möglich: Jetzt ist großer Bahnhof angesagt, denn Verbrechen müssen zwingend vor dem Schöffengericht angeklagt werden.
Es hocken also drei Richter vorne am Richtertisch, ein Profi, nämlich der Berufsrichter, und zwei Laienrichter. Bei besonderem Glück ist einer davon ein Gutmensch mit Christusfisch-Aufkleber auf dem untermotorisierten Kleinwagen, der für ein FKK-Bild acht Jahre Fegefeuer vorschlägt. Solange es bei dämlichen Vorschlägen bliebe, fände das niemand weiter beachtenswert. Bedauerlicherweise hat auch der Christusfisch-Fahrer bei der Beratung über das Urteil eine ganze Stimme und damit genausoviel, wie der Berufsrichter. Die zwei Schöffen können also miteinander den Berufsrichter überstimmen, wenn es um die Frage Himmel, Hölle oder Fegefeuer geht.
Das wird sich ein erfahrener Richter nicht bieten lassen und mittels gutem Zureden oder zuweilen auch mit unverhohlener Drohung („Was Sie hier vorhaben, ist Rechtsbeugung und wird ein Strafverfahren nach sich ziehen“) zu vermeiden wissen, aber erstens sind nicht alle Richter erfahren und zweitens ist es für alle Beteiligten zeit- und nervenraubend, insbesondere für den Angeklagten.

Ich hege ernste Zweifel, ob meine Justizministerin Lambrecht, ehemals Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Handels- und Gesellschaftsrecht, diese Konsequenzen beim Absegnen des nun in Kraft befindlichen Gesetzesentwurfes bedacht hat: Jetzt verhandeln wir jeden einzelnen Fall, in dem Schuldspruch und Strafmaß zuvor zur Zufriedenheit aller Beteiligter ausgehandelt worden ist, vor dem Schöffengericht.
Das ist aber offenbar Justizentlastung à la Lambrecht: Jedes FKK-Bild vor ´s Schöffengericht, dann kann sich die überlastete Justiz ja sonn- und feiertags um die tatsächlichen Verbrecher kümmern – oder auch nicht: Dann bleiben ex-cum, wirecard und Geldwäschestrafvereitelungen eben liegen. Die paar Milliarden machen den Kohl nicht fett.

Altfälle bis 30. Juni 2021: Geldstrafe oder Freiheitsstrafe

a. Droht mir als Beschuldigter eines "Altfalles" eine Geldstrafe, eine Freiheitsstrafe oder gar Haft?

Die brennendste Frage jedes der Verbreitung, des Erwerbs oder des Besitzes kinderpornographischer Schriften bis zum 30. Juni 2021 Beschuldigten ist die nach der drohenden Strafe für den Fall, dass von den Tatvorwürfen tatsächlich etwas „hängen bleibt“. Droht Geldstrafe, wenn ja, in welcher Höhe? Droht eine Freiheitsstrafe? Gar eine, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wird, also Haft?

Um es gleich vorweg zu nehmen: Verteidiger oder Anwälte, die gerne Verteidiger wären oder von sich glauben, solche zu sein, und im Internet irgendwelche „Richtwerte“ im Sinne von beispielsweise im Steuerstrafrecht existenten Strafmaßtabellen verbreiten, betreiben entweder bewusste Scharlatanerei zum Zwecke des Mandantenfangs oder kupfern diesen Blödsinn aus – natürlich unbenannten – Quellen ab.

Dass sich das Strafmaß nicht alleine nach der abstrakten Anzahl von besessenen, erworbenen, hergestellten, verbreiteten oder öffentlich zugänglich gemachten kinder- oder jugendpornografischen Bild- oder Filmdateien richten kann und auch nicht richtet, zeigt schon ein Blick in § 46 des Strafgesetzbuches (StGB), der die Strafzumessung im Allgemeinen regelt und in dessen erstem Absatz es heißt, dass die Schuld des Täters Grundlage für die Zumessung der Strafe sei und die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, zu berücksichtigen seien. Schon nach der Lektüre dieses ersten Absatzes verbietet es sich offensichtlich, festzulegen, dass es für den Besitz bis 100 Bilder kinderpornographischen Inhaltes noch eine Geldstrafe und ab dem 101. Bild eine Freiheitsstrafe auf Bewährung von sieben Monaten und ab dem 501. Bild eine solche von einem Jahr aufwärts gebe.

§ 46 StGB hat aber noch einen zweiten Absatz, der einzelne Kriterien der Strafzumessnung konkret benennt, unter anderem folgende:

      • die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,
      • das Maß der Pflichtwidrigkeit,
      • die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,
      • das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie
        sein Verhalten nach der Tat.

Es gibt in ihrem gesamten Leben bislang nicht mit der Strafjustiz in Berührung geratene Beschuldigte Mitte 50, die des Uploads einer kinderpornographischen Bilddatei nachts um halb drei via Chatstep oder Tumblr verdächtig sind, bei denen nach der Wohnungsdurchsuchung ein paar fünfzig oder sechzig Bilddateien größtenteils als Vorschaubilder („thumbs“) im Browsercache gefunden werden, die innerhalb weniger Stunden dort abgelegt wurden. Bei der Strafzumessung ist hier die besondere Lebenssituation – Trennung von der Ehefrau, extremer beruflicher Stress, Kenntniserlangen einer Krebserkrankung, demzufolge alkoholisierte Internetsitzungen (das sind alles erlebte und verteidigte Beispiele) – wesentlich maßgeblicher als die schnöde Anzahl von Bilddateien.
Die „Gesinnung, die aus dieser Tat spricht“ und der „dabei aufgewendete Wille“ – Kinderpornographie ist durch Eingabe entsprechender Suchbegriffe und zwei „Klicks“ zu finden, wenn man nicht gar ungewollt beim Betrachten legaler Pornographie darauf stößt – sind als Strafzumessungskriterien selbstverständlich völlig anders – nämlich zugunsten des Beschuldigten! – zu bewerten, als nach § 184b StGB strafbewehrte Hndlungen eines dreimal einschlägig Vorbestraften, der anderen seit viereinhalb Jahren Bilddateien solchen Inhaltes gegen Entgelt überlässt.

Dazu kommt, dass vor allem der Inhalt einer als kinderpornographisch klassifizierten Bilddatei eine maßgebliche Rolle für die Strafzumessung spielt:
Es ist ein Unterschied, ob eine knapp, aber eben nicht ganz Vierzehnjährige am Nacktbadestrand von ihr selbst unbemerkt in einer solchen Weise mit einem Teleobjekt fotografiert worden ist, dass die Bilddatei nach den Kriterien der Rechtsprechung als kinderpornographisch einzustufen ist, oder ob das Verbrechen einer Vergewaltigung einer Fünfjährigen durch drei Erwachsene abgelichtet worden ist.
Beides sind kinderpornographische Schriften im Sinne des § 184b StGB. Es leuchtet jedem ein, dass derjenige, der 143 Bilddateien mit dem Inhalt des ersten Beispiels besitzt, anders zu sanktionieren ist als derjenige, der dieselbe Anzahl des zweiten Falles in Besitz hatte.

Die im Internet oft verbreitete Einteilung in Gruppierungen von 1 bis 10 Bildern (angebliche Rechtsfolge: Einstellung des Verfahrens), 11-50 Bildern (angebliche Folge: Geldstrafe unter Eintragungsgrenze des Bundeszentralregistergestzes), 51-500 Bildern (angebliche Sanktion: Geldstrafe über der Eintragungsgrenze), 501 -1.000 Bilder (Bewährungsstrafe) usw. usf. ist barer Unsinn. Sie können nicht einmal als Grundsatz, Faustregel oder Orientierungshilfe dienen.

b. Erkennen und Nutzen von Verteidigungschancen maßgeblich für Strafhöhe

Hier einmal drei Beispiele, die zeigen, dass es für die Strafzumessung vor allem anderen auf die Leistung des Verteidigers, die im Erkennen von Verteidigungschancen und deren Wahrnehmen liegt, ankommt, und nicht auf imaginäre Tabellen, die einer bestimmten Anzahl von Bilddateien eine bestimmte Strafe zuordnen:

Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main, Amtsgericht Frankfurt am Main, 985 Ds 4793 Js 240221/14:
Der kriminalpolizeiliche Ermittlungsbericht wirft dem Beschuldigten den Besitz von 57 kinderpornographischen Bilddateien, 489 jugendpornographischen Bilddateien und 5 jugendpornographischen Filmdateien vor.
Nach detaillierter Sichtung der Beweismittelordner fertigte ich eine Verteidigungsschrift, schlug dem sachbearbeitenden Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main einen Strafbefehl über 90 Tagessätze vor; das fand dieser inakzeptabel wenig. Der Beschuldigte entschied sich nach ausführlicher Erörterung des Für und Wider für die streitige Durchführung des Verfahrens. Ein erster Hauptverhandlungstermin fand statt, die aufgrund der gestellten Beweisanträge seitens des Gerichts angeordneten Ermittlungen konnten vom Sachverständigen nicht innerhalb der höchstens zulässigen Unterbrechungsfrist bearbeitet werden, es gab einen zweiten Hauptverhandlungstermin, in dem sich Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Gericht auf – die schon im Ermittlungsverfahren von mir vorgeschlagenen – 90 Tagessätze einigten. 90 Tagessätze sind deswegen interessant, weil sie unterhalb der Grenze liegen, ab denen ein Eintrag in das (normale, nicht erweiterte) polizeiliche Führungszeugnis liegen.

Staatsanwaltschaft Wiesbaden, Amtsgericht Rüdesheim am Main, 8 Cs 2235 Js 33203/17:
Laut Auswertbericht des IT-Sachverständigen wurden 1.119 Bilddateien mutmaßlich kinderpornographischen Inhaltes aufgefunden. Eine Analyse sämtlicher Dateipfade, Zeitstempel und Auffindeorte sowie des Inhaltes sämtlicher Bilddateien, zusammengefasst in einer sehr umfangreichen Verteidigungsschrift bewogen die Staatsanwaltschaft Wiesbaden, den Erlass des meinerseits vorgeschlagenen Strafbefehls über 60 (!) Tagessätze beim Amtsgericht Rüdesheim zu beantragen, der dann wie beantragt erlassen worden ist. Der Strafbefehl geht vom Besitz von 793 kinderpornographischen Bilddateien aus.

Diese Beispiele zeigen, dass allem die durch eine detaillierte Verteidigungsschrift dargelegte Unsicherheit hinsichtlich des revisionsfesten Nachweises des Besitzes kinder- oder jugendpornographischer Schriften in der Lage ist, sich ganz entscheidend auf das im Strafbefehlswege zu verhängende Strafmaß auszuwirken: Die Staatsanwaltschaft sieht sich vor aus ihrer Sicht teils nur äußerst schwierig überwindbaren Hürden, das Gericht vom vorsätzlichen und dem Angeklagten zurechenbaren Besitz aller im Auswertbericht enthaltenen Bilddateien zu überzeugen, so dass es hinsichtlich aller Bilddateien zu einer Verurteilung kommt, und ist daher durchaus kompromissbereit beim weiteren Prozedere.

Wie dem Angeklagten eine vollständige Verurteilung nach allen Vorwürfen der Anklageschrift droht, geht die Staatsanwaltschaft bei der verweigerten Einigung das Risiko eines – ebenso vollständigen – Freispruchs des Angeklagten ein. Das zeigt ein Verfahren vor dem Amtsgericht Rüsselsheim, in dem der Angeklagte vom Besitz von 2.581 kinderpornographischen Schriften in Form von Bilddateien freigesprochen worden ist.

c. Vor der Strafzumessung muss der Tatvorwurf erst einmal bewiesen sein

Selbst wenn eine gewisse Anzahl von Bilddateien strafbaren Inhaltes aufgefunden wird, heißt das noch lange nicht, dass ein Beschuldigter deswegen überhaupt angeklagt wird.
Das kann nämlich dann vermeiden werden, wenn die Verteidigungsschrift darlegen kann, dass dem Beschuldigten keine strafbare Handlung im Bezug auf die Tatbestände der §§ 184b oder c StGB nachgewiesen werden können wird, wie es beispielsweise in meinen Verteidigungen in 184b-Verfahren der Staatsanwaltschaften Frankfurt am Main, Mainz, und Darmstadt der Fall war.