Hauptverhandlung gegen Metzelder
Hauptver-handlung gegen Metzelder
Über den Unterschied zwischen 2021 und 1993
Die Pressemitteilungen überschlagen sich, da Abwechslung für alle die winkt, die Wieler und Drosten nicht mehr sehen und hören können: Die Anklage der Staatsanwaltschaft Düsseldorf ist zugelassen, das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht Düsseldorf eröffnet worden. Heute ist der – erste?, einzige? – Hauptverhandlungstermin gegen den „Vize-Weltmeister von 2002“. Zeit für eine nüchterne Bestandsaufnahme über die interessanten Moraländerungen in der Click-Gesellschaft.
1993
Leverkusen gewinnt das DFB-Pokalfinale gegen die Amateure von Hertha BSC mit einem 1:0-Sieg durch einen Treffer des Torschützenkönigs der gleichen Bundesligasaison, Ulf Kirsten. Alain Prost wird auf Williams-Renault zum vierten Mal Formel-1-Weltmeister.
Soviel zum Sportteil. Was tut sich in der strafrechtlichen Ecke?
Das Sichverschaffen und der Besitz kinderpornografischer Schriften werden zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik durch das 27. Strafrechtsänderungsgesetz vom 23. Juli 1993 für strafbar erklärt, das Gesetz trat am 1. September 1993 in Kraft.
War der Besitz von Kinderpornografie vorher etwa nicht strafbar?
Nein. War er nicht.
Dafür war bis zum Jahr 1994 noch die „Unzucht zwischen Männern“ nach § 175 StGB strafbar: „Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft.“ Zuchthaus bis zu zehn Jahren gab es nach § 175a „erschwerte Fälle“ für einen über 21-Jährigen, der einen unter 21-Jährigen zur Unzucht verführt.
So wandeln sich die Moralvorstellungen und mit ihnen das, was man unter Strafe verbietet, innerhalb von Zeitspannen, die nicht einmal als „eine Generation“ bezeichnet werden können.
Es kann also nicht schaden, die Historie im Hinterkopf zu haben, wenn man lauthals schreit, Leute, die rechtskräftig verurteilt wurden, weil sie kinderpornografische Bilder besaßen, sollten „nie wieder rauskommen.“ 1993 wären sie erst gar nicht hinein gekommen, dafür waren zu diesem Zeitpunkt andere drin.
Man könnte es auch unaufgeregt so formulieren: Wer heute als Mann seinen homosexuellen Neigungen nachgeht, wird unter ganz besonderen Schutz vor homophoben Äußerungen gestellt. Wer heute das gemalte Nacktbild einer Dreizehnjährigen besitzt, deren Busen oder Po in den Bildmittelpunkt gestellt wurde, wird verfolgt wie Rothaarige zu Zeiten der Hexenverbrennung. 1993 war es umgekehrt: Den Homosexuellen verfolgte man, den Gemäldebesitzer ließ man zumindest in Ruhe.
2021
Der Sportteil fällt wegen Corona aus.
Alles, was mit Kinderpornografie zu tun hat, wird auf das Schärfste verfolgt. Nachdem alle Maskendeals abgewickelt und die dafür angefallenen Provisionen sorgsam eingesammelt worden waren, beschlossen unsere tatkräftigen Politiker eine Verschärfung des § 184b StGB, der eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe (!) vorsieht für den Besitz eines einzigen kinderpornografischen Bildes.
Dass manche Mitbürger durch diese plumpen Ablenkungsmanöver der ehemaligen Viernheimer Rechtsanwältin Lambrecht von der Unfähigkeit ihres Ministeriums, grundrechtskonforme Coronagesetze zu entwickeln, beeindruckt sind und erleichtert denken, mit diesen Verschärfungen werde nun der sexuelle Missbrauch von Kindern endgültig ausgemerzt, liegt daran, dass die allermeisten gar keine oder wenn, dann die falsche Vorstellung davon haben, was Gesetzgeber und Rechtsprechung überhaupt unter „Kinderpornografie“ verstehen.
Was im Jahr 2021 alles unter "Kinderpornografie" fällt
Wer § 184b StGB in seiner aktuellen Fassung liest, wird feststellen, dass neben solchen Darstellungen, die tatsächlich den sexuellen Missbrauch eines Kindes darstellen, auch Bilder erfasst sind, die aufgrund des Aufnahmemodus ein schlicht nacktes Kind so abbilden, dass die Aufnahme als Kinderpornografie im Sinne des § 184b Abs. 1 Nr. 1 c) StGB gilt.
Wenn das aufgenommene Kind nicht einmal merkt, dass es überhaupt aufgenommen worden ist – die sonnenbadende Dreizehnjährige wird am FKK-Strand mittels Teleobjektiv fotografiert oder aber nach der durchtanzten Nacht schlafend mit herunter gerutschtem Oberteil, so dass Teile des Busens sichtbar sind – ist das Herstellen solcher Aufnahmen unzweifelhaft moralisch verwerflich. Für den bloßen Besitz – also nicht einmal Verbreitung – einer solcher Aufnahmen eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr zu verhängen, ist ein dem populistischen Slogan des Kampfes gegen die Kinderpornografie geschuldeter Schwachsinn, gegen den sich unter anderem der Deutsche Richterbund wehrt.
Diese Gesetzesverschärfung ist – sollte es zu einem Schuldspruch gegen Christoph Metzelder kommen – wegen des Rückwirkungsverbotes nicht anwendbar, selbst wenn eine eventuelle Verurteilung nach dem Inkrafttreten der Verschärfung erfolgen sollte.
Gleichwohl hat die mit einigem medialen Aufwand angekündigte, hundertfünfundzwanzigste Verschärfung des Sexualstrafrechts zu einer Hysterisierung geführt, unter der jetzt Christoph Metzelder zu leiden hat in einem Maße, als wäre er 1993 vom Hausmeister beim Sex mit einem Spielerkollegen ertappt worden.
Niemand, der einigermaßen bei Trost ist, kann für die Straflosigkeit des Besitzes von Bildern oder Filmen sein, die den sexuellen Missbrauch tatsächlich existierender (und nicht rechneranimierter) Kinder durch Erwachsene abbilden [Fußnote: Die Einschränkung „durch Erwachsene“ enthält das Gesetz nicht. Wie würden Sie einen 14-Jährigen bestrafen, der ein Video besitzt, das ihn beim Vollzug des Beischlafs mit seiner 13-Jährigen Freundin zeigt, die von dem Erlebnis erstens begeistert und zweitens mit der Aufnahme einverstanden war? Es handelt sich per Definition um einen Fall des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes!].
Die Darstellungen in der Presse über Kinderpornografie erwecken allerdings durchgehend den Eindruck, als handele es sich stets um Ablichtung schwerster, mit körperlicher Gewalt verbundener Taten Erwachsener gegen sehr junge Kinder. Das ist schlichtweg falsch. Solche Bilder oder Filme kommen vor, sind aber alles andere als die Regel.
Vor 2021: Ein Viertel der Beschuldigten wird verurteilt, ein Achtel zu einer Freiheitsstrafe
Die polizeiliche Kriminalstatistik weist für 2018 7.450 Taten der Verbreitung oder des Besitzes kinderpornografischer Schriften aus. 2017 wurden 1.850 Personen verurteilt, 1.050 davon zu einer Freiheitsstrafe, 800 zu einer Geldstrafe. Von den 1.050 zu einer Freiheitsstrafe verurteilten wurden 980 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Alle anderen Verfahren wurden entweder im Stadium des Ermittlungsverfahrens von den Staatsanwaltschaften nach § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt oder wegen geringer Schuld nach § 153a StPO meist gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt, wie im Falle des Sebastian Edathy.
Woran liegt das?
An der Cleverness von Verteidigern? Kaum, es gibt ja nur eine Handvoll, die es richtig können. An der Blödheit von Richtern und Staatsanwälten? Der Durchschnitt der Bestnoten im Staatsexamen soll dümmer sein als der Durchschnitt der übrigen Noten? Statistisch nicht möglich. Bliebe dann noch die Erklärung, dass die allermeisten Fälle der Kinderpornografie solche Darstellungen betreffen, die nicht „Bilder des Grauens“ sind, sondern Nacktbilder, die wegen einer bestimmten Aufnahmefokussierung den Grad des Erlaubten überschreiten, ohne dass einem Abgebildeten ein besonderes Übel zugefügt wurde, unter dem er zeitlebens leidet.
All die Journalisten, die sich nun eifrig des Falles des Christoph Metzelder annehmen, sollten diese mögliche Bandbreite der Kinderpornografie bedenken und fairerweise auch in ihren Berichten erwähnen.
Sollte das Amtsgericht Düsseldorf zur Überzeugung gelangen, dass er Bilddarstellungen anderen Personen verschafft hat, kann es von Gesetzes wegen nichts anders, als wegen jeder einzelnen dieser sogenannten Verbreitungshandlungen eine Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten als Einsatzstrafe festzulegen, weil das das gesetzliche Mindestmaß darstellt.
Im Falle mehrerer solcher Verbreitungshandlungen wird also eine Freiheitsstrafe – die freilich zur Bewährung auszusetzen ist – unumgänglich sein, aber eben nicht wegen der Grauenhaftigkeit der versendeten oder besessenen Bilder, sondern des Umstandes, dass das bloße Besitzen unabhängig von der Zahl und des Inhaltes der Bilder mit Geldstrafe bestraft werden kann, und das Weiterleiten an Dritte pro Weiterleitungshandlung mit mindestens drei Monaten Freiheitsstrafe geahndet werden muss – unabhängig vom Bildinhalt.