Ist 184b StGB verfassungswidrig?

München sagt ja, Karlsruhe schweigt

Vermeintliche Experten

Geschätzte 98% derer, die während Corona Virologie-Experten, während der WM Fußballexperten und bei der Frage, wie der Besitz von Kinderpornografie zu bestrafen sei, Sexualstrafrechtsexperten sind, wissen nicht, was ein „kinderpornografischer Inhalt“ im Sinne des Strafgesetzbuches alles sein kann, nämlich z. B. eine Nacktaufnahme einer Dreizehneinhalbjährigen am FKK-Strand, bei der deren Gesäß in den Bildmittelpunkt rückt, ihr Gesicht aber gar nicht erkennbar ist und die Fotografierte nicht einmal merkte, dass sie fotografiert wurde.

Der Besitz einer solchen Aufnahme (die nicht an einen anderen weitergegeben oder gar veröffentlicht wird) wird ab dem 1. Juli 2021 mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

Der sexuelle Missbrauch eines Kindes ohne Körperkontakt hingegen (§ 176a StGB) wird mit einer Mindeststrafe von sechs Monaten bestraft.

Die Frage, was Kinderpornografie ist und was nicht, worin sie sich von der wesentlich geringeren bis gar nicht (§ 184c Abs. IV StGB) bestraften Jugend- oder anderer Pornografie unterscheidet, ist nur dann einfach zu beantworten, wenn man auf das Offensichtliche abstellt und alleine dasjenige als Kinderpornografie ansieht, was in der Presse über die „traumatisierenden“ Bild- und Filmdateien geschrieben wird, die niemals je ein Journalist und erst recht keine Leser, Zuschauer oder Zuhörer je zu Gesicht bekam.
Der Kern definiert sich leicht, die Grenzen sind schwierig.
Über die sind aber diejenigen gehalten, vertieft nachzudenken, die anklagen, verteidigen und urteilen. Sie können nicht nach dem Stammtischleidfaden, dass Sauereien bestraft gehören und dass ein anständiger Mensch schon weiß, was eine Sauerei ist und was nicht, verfahren.

Zurück zur Strafzumessung und der Mindeststrafdrohung des § 184b StGB:
Es ist eine Alltagserfahrung, dass sich etwa Verletzungen, Behelligungen, Unannehmlichkeiten zwischen ganz leicht und sehr gravierend bewegen können. Eer fordert, dass eine vorsätzliche Körperverletzung mit einer Mindeststrafe von einem Jahr belegt werden müsse, weil sie ja stets anderer Leute Gesundheit als deren höchstes irdisches Gut beträfe, absichtliche Körperverletzung also ausnahmslos Gräueltaten darstellten, entblödet sich. Eine Bewertung des Einzelfalls würde so unmöglich gemacht.

Eine vorsätzliche Körperverletzung kann mit 5 Tagessätzen Geldstrafe oder (im Falle des 224 StGB) mit 10 Jahren Freiheitsstrafe bestraft werden.

Wer die Überlegungen zu einer einzelfallgerechten Bestrafung einer solchen Körperverletzung unter der Prämisse beginnt, jede Verletzung eines fremden menschlichen Körpers sei eine grauenvolle Gewalttat, verliert jeden Maßstab.

Daas gilt, selbst wenn die meisten Stammtisch-Sexualstrafrechtsexperten und Ordensschwestern es nicht glauben möchten, im Hinblick auf alle Straftaten, auch für solche gegen die sexuelle Selbstbestimmung, selbst wenn sie sich gegen Kinder richten.

Alles ist relativ - so auch die Schwere von Straftaten

Wer da nur herausposaunt, auf keinen Fall dürfe irgendetwas irgendwie relativiert werden, der hat den Sinn der Sache nicht verstanden – wird ihn aber spätestens dann verstehen, wenn er in einer WhatsApp-Gruppe Mitglied war, in die ein anderes Gruppenmitglied ein mutmaßlich kinderpornografisches Bild, das eigentlich lustig gemeint war, eingestellt hat und nun die Freuden einer Wohnungsdurchsuchung erlebt. Dann ist das alles auf einmal ganz anders zu sehen und muss – relativiert werden.

Und ob die Stammtischexperten, die härteste Maßnahmen gegen Kinderpornografie-Konsumenten herbeiwünschen, wissen, dass in mehr als der Hälfte aller Delikte, die den Umgang (Besitz, Abruf, Weiterleitung, Veröffentlichung, usw.) mit kinderpornografischen Inhalten zum Gegenstand haben, die Tatverdächtigen zwischen 12 und 17 Jahren – also selbst Kinder und Jugendliche – sind und dass sich deren Zahl binnen fünf Jahren verzehnfacht hat, dünkt mir zweifelhaft.

Es steht zu vermuten, dass mancher Höchststrafenschreihals – sofern es die eigenen mentalen Voraussetzungen zulassen – mit dem differenzierten Bedenken begönne, wenn er ahnte, dass mehr als die Hälfte der Verdächtigen „einer der schlimmsten Formen der Kriminalität“ (so das SPD-Parteimitglied Nancy Faeser) in dem Kinderzimmer der eigenen Behausung sitzt.

Tatsächliche Experten

Robert GRAIN ist Richter am Amtsgericht München. Er ist seit 2005 als Amtsrichter mit der Bearbeitung von Delikten, die den Umgang mit Kinderpornographie zum Gegenstand haben befasst, wobei es sich um eine Spezialzuständigkeit handelt. Er bearbeitet im Jahr nach eigenen Angaben etwa 75 Fälle. Er war 13. Oktober 2014 als Sachverständiger vor den Rechtsausschuss des Bundestages zur Anhörung geladen.

In diesem von mir vor dem AG München verteidigten Kinderpornografie-Verfahren, bei dem „altes“, also das bis zum 30. Juni 2021 geltende Recht anzuwenden war, wurde selbiges eingestellt und der Staatskasse die Verteidigungskosten (stets nur in Höhe der gesetzlichen Gebühren!) auferlegt.

Verfassungswidrigkeit des § 184b StGB

Der Richter GRAIN setzte ein nach neuem Recht zu beurteilendes Verfahren aus und legte die Akte gemäß Artikel 100 Absatz 1 des Grundgesetzes dem Bundesverfassungsgericht vor zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von des § 184b Absatz I Nr. StGB.

Allein das Bundesverfassungsgericht ist dafür zuständig, über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu entscheiden. Hält ein Fachgericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so setzt es das Verfahren aus und holt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein. Das Verfahren wird deswegen auch Richtervorlage genannt.

Hier die – treffende – Begründung der Richtervorlage des Münchner Richters GRAIN, die ich nur um Weniges gekürzt und zur besseren Übersichtlichkeit mit eigenen Überschriften versehen habe, im Wortlaut [AG München, Beschluss vom 17.06.2022 – 853 Ls 467 Js 181486/21]. Originalzitate sind mit blauer Seitenlinie gekennzeichnet:

Verstoß gegen Art. 2 und 12 Grundgesetz (GG)

Die Strafvorschrift des § 184 b I StGB wurde durch das 60. StÄG abgeändert und gilt seit 01.07.2021 in der neuen Fassung. Demnach beträgt der Strafrahmen für Verbreitung kinderpornographischer Inhalte Freiheitsstrafe von 1 bis zu 10 Jahren. Ein minder schwerer Fall ist nicht enthalten. Die Verbreitung kinderpornographischer Schriften wurde zum „Verbrechen“ herauf gestuft.

Die Tatsache, dass ein minder schwerer Fall nicht enthalten ist und daher die Mindeststrafe von 1 Jahr für den denkbar „harmlosesten“ Fall zu verhängen ist begegnet verfassungsrechtlichen Bedenken bzgl der Artikel 2 und 12 Grundgesetz. Im übrigen begegnet die Strafvorschrift keinen Bedenken.

Auch die durch das 60. StÄG seit 01.07.2021 geltenden Mindeststrafen für den Besitz kinderpornographischer Inhalte gemäß § 184 b III StGB und für den sexuellen Missbrauch von Kindern nach § 176 I StGB – jeweils Mindeststrafe von 1 Jahr – begegnen den gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Auf diese Vorschriften wird auch eingegangen – weil diese eng mit dem Verbreiten kinderpornographischer Schriften verbunden sind. Hierzu wird unter Ziffer 2 ein Beispielsfall erläutert.

Sehr wenige Wiederholungstäter

Der Gesetzgeber ist bei der Änderung aus Sicht des Unterzeichners weit über das Ziel hinaus geschossen. Mit Blick auf gravierende Fälle wurden nicht nur die jeweiligen Höchststrafen erhöht, sondern auch die Mindeststrafen. Dies führt zu nicht mehr hinnehmbaren Ergebnissen bei der Bearbeitung derjenigen Fälle, die nicht gravierend oder durchschnittlich, sondern relativ unerheblich/außergewöhnlich „harmlos“ sind. Für diese Fälle fehlt eine gesetzliche Regelung – insbesondere ein minder schwerer Fall mit reduzierter Mindeststrafe.

Der Unterzeichner ist seit nun 17 Jahren auf dem Gebiet der strafrechtlichen Sanktion von Kinderpornographie tätig. Sämtliche Wiederholungstäter im Lauf der letzten 17 Jahre wurden daher ebenfalls von ihm bearbeitet. Es steht hierbei die gesicherte Erkenntnis, dass nur in wenigen Ausnahmefällen die Täter erneut im Bereich Kinderpornographie straffällig werden. Demnach waren die in der Vergangenheit ausgeurteilten Strafen grundsätzlich geeignet, die Täter vor erneuter einschlägiger Straffälligkeit abzuschrecken.

Beschlagnahme aller Geräte, Gutachterkosten

Hierbei ist neben der jeweils ausgesprochenen Strafe zu bedenken, dass nicht nur die Strafe „Wirkung“ auf den Täter entfaltet. Auch der Ablauf des Strafverfahrens ist für den Täter in aller Regel einschneidend. Für den Täter beginnt das Verfahren im Normalfall mit einer Durchsuchung seiner Wohnung und/oder seines Arbeitsplatzes. Das soziale Umfeld wird hierbei in vielen Fällen informiert – z.B. die Ehefrau oder der Arbeitgeber. Bei der Durchsuchung werden alle (!) Speichermedien des Täters – Handy, PC, Laptop, etc – sichergestellt bzw beschlagnahmt. All diese Geräte werden über Monate hinweg von einem Sachverständigen untersucht. Allein die Tatsache, dass der Täter auf einen Schlag aller seiner Verbindungsmöglichkeiten im Bereich der Sozialen Medien „beraubt“ wird ist ein nicht zu unterschätzender Faktor für die Frage, ob der Täter vergleichbares Handeln in Zukunft erneut riskieren wird.

Letztlich ist auch die Verfahrensdauer – geschätzt etwa 1 Jahr bis zur Hauptverhandlung – zu berücksichtigen. Eine beschleunigte Verfolgung scheitert an den faktischen Gegebenheiten: die Speichermedien müssen durch den Sachverständigen überprüft und ein Gutachten hierzu erstattet werden.

Für den Fall der Verurteilung tritt neben die Strafe die Kostenfolge des § 465 I StPO. Der verurteilte Täter hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Hierunter fallen insbesondere die Kosten des Sachverständigen. Je nach Anzahl der untersuchten Speichermedien und der gefundenen Kinderpornographie-Dateien bewegen sich diese Kosten im Durchschnitt bei 3000 bis 6000 Euro. In einem Fall wurden dem Angeklagten fast 20.000 Euro Gutachterkosten auferlegt.

Der Unterzeichner ist seit nun 17 Jahren auf dem Gebiet der strafrechtlichen Sanktion von Kinderpornographie tätig. Sämtliche Wiederholungstäter im Lauf der letzten 17 Jahre wurden daher ebenfalls von ihm bearbeitet. Es steht hierbei die gesicherte Erkenntnis, dass nur in wenigen Ausnahmefällen die Täter erneut im Bereich Kinderpornographie straffällig werden. Demnach waren die in der Vergangenheit ausgeurteilten Strafen grundsätzlich geeignet, die Täter vor erneuter einschlägiger Straffälligkeit abzuschrecken.

Keine Einstellung mehr möglich (s. Edathay)

Bei einer Mindeststrafe von 1 Jahr ist die Strafaussetzung zur Bewährung gemäß § 56 II StGB nur noch in Ausnahmefällen möglich. Es müssen „besondere Umstände“ in der Tat oder der Person des Angeklagten vorliegen.

Weil es sich bei § 184 b I StGB nun um ein „Verbrechen“ handelt ist eine Einstellung des Verfahrens nach den §§ 153 und 153 a StPO nicht mehr möglich. Diese Vorschriften gelten nur für „Vergehen“. Auch der Wegfall dieser Möglichkeit, relativ harmlose Fälle ohne Verurteilung zu lösen, erscheint nicht mehr verfassungskonform.

Massive Einschränkung der beruflichen Zukunft

Durch eine Verurteilung zu mindestens 1 Jahr Freiheitsstrafe ergeben sich für die Angeklagte weitreichende Konsequenzen. Selbst für den Fall der Strafaussetzung zur Bewährung gilt diese nun als erheblich vorbestraft und riskiert bei weiterer Straffälligkeit den Widerruf der Bewährung. Selbst wenn die Bewährung nicht widerrufen wird, so orientieren sich dennoch die möglichen zukünftigen Verurteilungen an der Tatsache, dass die Angeklagte nicht mehr straffrei, sondern erheblich vorbestraft ist.

Die Verurteilung wird in das polizeiliche Führungszeugnis aufgenommen. Eine Bewerbung auf eine Arbeitsstelle, bei der die Vorlage dieses Zeugnisses erforderlich ist, ist aussichtslos.

Zu enger Strafrahmen für harmlose und schwere Fälle

Der Unterzeichner kennt einen ähnlich knappen Strafrahmen – bei Freiheitsstrafe – nur im Bereich des Waffenrechts. Sowohl § 51 I WaffG als auch § 22 a I Nr. 6a KrWaffG enthalten aber einen minder schweren Fall.

Es stellt sich bei einem derart knappen Strafrahmen die Frage der Verhältnismäßigkeit. Der denkbar „harmloseste“ Fall dürfte der nicht vorbestrafte, geständige Angeklagte sein, der allenfalls einige wenige kinderpornographische Inhalte – z.B. Posing-Bilder von leicht bekleideten Kindern – besitzt. Er verbreitet diese nicht, sondern besitzt sie heimlich. Dieser muss mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 1 Jahr bestraft werden.

Demgegenüber stünde der denkbar „krasseste“ Fall: Der vielfach einschlägig vorbestrafte Angeklagte, der bereits viele Jahre im Gefängnis verbracht hat, unbelehrbar ist und den Sachverhalt nicht einräumt. Dieser Angeklagte besitzt eine Vielzahl – ca. 1 Million – kinderpornographische Inhalte, wobei diese überwiegend schweren sexuellen Missbrauch von Kindern in Video-Clips darstellen. Hinzu kommen Folter-Videos an Babys und Kleinkindern, Fäkal-Videos und dergleichen Abartigkeiten. Dieser Angeklagte bekäme dann ebenfalls eine Freiheitsstrafe, die sich eher an der Höchstgrenze 5 Jahre orientieren würde.

Der Unterzeichner erachtet diesen engen Strafrahmen als nicht geeignet, um auf die völlig unterschiedlichen Angeklagten angemessen reagieren zu können. Es kann bei dem „harmlosen“ Fall im Gegensatz zum „krassen“ keine ausreichend milde Sanktion erfolgen, die im Verhältnis steht.

Existenzvernichtung von Beamten

Extrem wirkt sich die zwingende Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 1 Jahr auf alle Beamten aus. Diese verlieren nach § 41 I Nr. 1 BBG oder den vergleichbaren gesetzlichen Vorschriften der Bundesländer mit dem Tag der Rechtskraft des Urteils ihre Beamtenstellung. Es besteht fortan kein Anspruch mehr auf Besoldung/Versorgung.

Gerade diese sehr weitreichende Konsequenz kann durch eine Regelung eines minder schweren Falles in ein angemessenes Verhältnis gebracht werden. Der Beamte kann – im Rahmen eines Disziplinarverfahrens – eine eigenständige Prüfung durch den Dienstherren bzw die Verwaltungsgerichte erreichen, ob er weiterhin als Beamter tätig sein darf. Er verliert nicht automatisch mit der Verurteilung seine Stellung als Beamter. Überspitzt formuliert: Ist wirklich jeder Beamte, der im Bereich der Kinderpornographie strafrechtlich in Erscheinung trat – aber eben in relativ harmloser Weise, etwa durch den Besitz nur einiger weniger Bilder – sofort aus dem Dienst zu entfernen?

Vertane Chance

Nun hatte Ihr und mein Verfassungsgericht die Chance, auf diese grainsche Steilvorlage die unsägliche Mindeststrafdrohung, die wir unserer Justiz- und Verteidigungsministerin a. D. LAMBRECHT zu verdanken haben, aufzuheben, indem es sie für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar, also verfassungswidrig, hätte erklären können.

Hat es aber nicht.

Es zog es vor, die Richtervorlage zusammen mit einer weiteren Vorlage des Amtsgerichts Wuppertal für unzulässig zu erklären, und vermied so eine tiefere inhaltliche Auseinandersetzung.

Zunächst führt unser Verfassungsgericht die – hier nicht weiter interessierenden – formalen Voraussetzungen eines Normenkontrollverfahrens auf, um danach festzustellen:

Verfassungsgerichtlicher Wortlaut:

„Ausgehend von diesen Maßstäben genügen die Vorlagebeschlüsse den Anforderungen nicht.

1. Die Vorlage des Amtsgerichts München ist schon deshalb unzulässig, weil der Vorlagebeschluss aus sich heraus nicht verständlich ist. Das Amtsgericht München lässt eine hinreichende Sachverhaltsdarstellung vermissen und führt in seinem Vorlagebeschluss lediglich zu fiktiven Beispielsfällen aus.

2. Die Vorlage des Amtsgerichts Wuppertal ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil das Amtsgericht im Vorlagebeschluss nicht hinreichend darlegt, dass und warum das angeklagte Tatgeschehen dem Tatbestand des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB unterfällt. Aus dem Vorlagebeschluss erschließt sich nicht, warum das Amtsgericht davon ausgehen zu können meint, dass es sich bei der vom Angeschuldigten verbreiteten Datei um einen „pornographischen Inhalt“ im Sinne des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB handelt.

§ 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB setzt schon nach seinem Wortlaut voraus, dass es sich um „pornographischen Inhalt“ handelt. In Rechtsprechung und Schrifttum wird – auch wenn der Begriff der Pornographie des § 184 StGB insoweit nicht vollständig übertragen wird – für die Verwirklichung des Tatbestandes verlangt, dass die Vermittlung sexueller Inhalte ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung sexueller Reize beim Betrachter ausgerichtet ist (vgl. BGHSt 59, 177 <178 Rn. 43, 179 Rn. 49>; BTDrucks 18/3202, S. 27; Hörnle, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2021, § 184b Rn. 14; Eisele, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 184b Rn. 5; Ziegler, in: BeckOK StGB, 54. Edition Stand 1.8.2022, § 184b Rn. 3).

Das ist hier zweifelhaft, da das Amtsgericht selbst annimmt, dass die Bilddatei nicht auf die Befriedigung sexueller Bedürfnisse ihrer Betrachter ausgelegt ist, sondern im Internet als „Spaßvideo“ kursiert. Das Bundesverfassungsgericht ist zwar an die einfachrechtliche Einordnung des vorlegenden Gerichts grundsätzlich gebunden (vgl. BVerfGE 2, 181 <190 f.>; 105, 61 <67>; 133, 1 <10 f. Rn. 35>). Das enthebt das vorlegende Gericht indes nicht der Aufgabe, sich mit den in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Auffassungen auseinanderzusetzen, die dazu führen könnten, dass es auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der vorgelegten Norm nicht mehr ankommt, weil deren tatbestandliche Voraussetzungen schon nicht erfüllt sind. Das ist hier nicht geschehen.

Daher bedarf es keiner weiteren Erörterung, ob das Amtsgericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des § 184b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB hinreichend begründet hat.“

[BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 03.03.2023 – BVERFG Aktenzeichen 2 BvL 11/22, BVERFG Aktenzeichen 2 BvL 15/22.]

Spaßvideos keine Kinderpornografie?

Damit hat das Bundesverfassungsgericht an der Mindeststrafe des § 184b StGB zwar nichts geändert, aber den mit diesen Verfahren beschäftigten Verteidigern für den Bereich von Fällen, in denen in Chatgruppen einzelne Bild- oder Filmdateien, die lustig gemeint, indessen von einigen Staatsanwaltschaften als kinderpornografisch angesehen wurden, gewichtige Gegenargumente an die Hand gegeben.

Bald kommt die Zeit voll kalter Wochen,

da wird dann unser Walter kochen.

Auf den inzwischen verstorbenen langjährigen saarländischen Justizminister Arno WALTER, der für seine Bodenständigkeit und seinen Pragmatismus bekannt war, können wir nun nicht mehr hoffen.

Die amtierenden Justizminister – an deren Pragmatismus ich eher zweifele – haben sich auf ihrer Herbstkonferenz am 10. November 2022 unter dem Tagesordnungspunkt II 18 mit der Anpassung des Strafrahmens des §184b StGB befasst und bitten den Bundesminister der Justiz um Vorlage eines Gesetzentwurfs, der für die Tatbestände des § 184b Abs. 1 StGB entweder eine Herabstufung zum Vergehen oder eine Regelung für minder schwere Fälle vorsieht und die Mindeststrafe in § 184b Abs. 3 StGB im Hinblick auf die Bandbreite des möglichen Handlungsunrechts auf unter ein Jahr Freiheitsstrafe festlegt.